Wirtschaft & Soziales Der nächste Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomkraft könnte mit Verweis auf die Klimaziele erfolgen
Für weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung ist der Atomausstieg beschlossene Sache, viele Menschen glauben sogar, dass alle Atomkraftwerke bereits abgeschaltet sind. Doch wie energiepolitische Untote laufen die sieben leistungsstärksten Reaktoren im Jahr 2019 noch immer. 19 Jahre nach dem für weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung ist der Atomausstieg beschlossene Sache, viele Menschen glauben sogar, dass alle Atomkraftwerke bereits abgeschaltet sind. Doch wie energiepolitische Untote laufen die sieben leistungsstärksten Reaktoren im Jahr 2019 noch immer. 19 Jahre nach dem Beginn der verschiedenen Atomausstiege und -konsense liegt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch auf Platz drei der installierten nuklearen Kraftwerksleistung. Angesichts der massiven antinuklearen Stimmung nach dem dreifachen GAU von Fukushima 2011 ein bemerkenswerter Umstand.
Wer hätte damals gedacht, dass die Stilllegung der acht ältesten Reaktoren ausreichen würde, um den Widerstand weitgehend zu befrieden und den verbliebenen neun Reaktoren eine Bestandsgarantie von bis zu einem Jahrzehnt zu verschaffen? Unberührt vom sogenannten Atomausstieg blieben auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherung in Gronau, die jeweils von erheblicher internationaler Bedeutung sind. So versorgt die Anlage in Lingen neben vielen anderen AKWs weltweit auch die rissigen belgischen Reaktoren Tihange und Doel mit Brennelementen. Ungeschoren kamen auch die Kernforschungszentren (KIT Karlsruhe, FRMII Garchingen) davon, die mit enormem finanziellem Aufwand an zukünftigen Reaktorlinien forschen und die
atomtechnische Ingenieurs-Community am Leben halten.
Noch lange nicht erledigt Um zu verstehen, weshalb aktuell eine Reihe von Anti-Atom-Gruppen eine Laufzeitverlängerung von AKWs 2021/22 für wahrscheinlich halten, lohnt es sich, die innere Logik des Atomausstieges von 2011 genauer unter die Lupe zu nehmen. Zunächst einmal war es für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung notwendig, die Proteste außerhalb und innerhalb der Parlamente zu befrieden. Wie sehr Letzteres drängte, machte der Regierungswechsel im CDU-Kernland Baden-Württemberg deutlich. Hier war die Welle der Empörung über den Super-Gau maßgeblich dafür verantwortlich, dass Winfried Kretschmann erster grüner Beginn der verschiedenen Atomausstiege und -konsense liegt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch auf Platz drei der installierten nuklearen Kraftwerksleistung. Angesichts der massiven antinuklearen Stimmung nach dem dreifachen GAU von Fukushima 2011 ein bemerkenswerter Umstand.
Wer hätte damals gedacht, dass die Stilllegung der acht ältesten Reaktoren ausreichen würde, um den Widerstand weitgehend zu befrieden und den verbliebenen neun Reaktoren eine Bestandsgarantie von bis zu einem Jahrzehnt zu verschaffen? Unberührt vom sogenannten Atomausstieg blieben auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherung in Gronau, die jeweils von erheblicher internationaler Bedeutung sind. So versorgt die Anlage in Lingen neben vielen anderen AKWs weltweit auch die rissigen belgischen Reaktoren Tihange und Doel mit Brennelementen. Ungeschoren kamen auch die Kernforschungszentren (KIT Karlsruhe, FRMII Garchingen) davon, die mit enormem finanziellem Aufwand an zukünftigen Reaktorlinien forschen und die atomtechnische Ingenieurs-Community am Leben halten.
Noch lange nicht erledigt
Um zu verstehen, weshalb aktuell eine Reihe von Anti-Atom-Gruppen eine Laufzeitverlängerung von AKWs 2021/22 für wahrscheinlich halten, lohnt es sich, die innere Logik des Atomausstieges von 2011 genauer unter die Lupe zu nehmen.
Zunächst einmal war es für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung notwendig, die Proteste außerhalb und innerhalb der Parlamente zu befrieden. Wie sehr Letzteres drängte, machte der Regierungswechsel im CDU-Kernland Baden-Württemberg deutlich. Hier war die Welle der Empörung über den Super-Gau maßgeblich dafür verantwortlich, dass Winfried Kretschmann erster grüner Ministerpräsident wurde. Den heutigen Kohleprotesten ähnlich, bedrohte der bis weit ins bürgerliche Lager reichende Zweifel an der herrschenden Energiepolitik die Machtbasis der CDU. In einem vielschichtigen Manöver gelang es Angela Merkel, zunächst einmal durch die Stilllegung einer Reihe sehr alter und in der Kritik stehender Reaktoren (z.B. Biblis und Krümmel) dem Wunsch einer Bevölkerungsmehrheit nach AKW- Abschaltungen nachzukommen. Darüber hinaus nahm sie die kurz vorher beschlossenen Laufzeitverlängerungen auf die Linie des rot-grünen Atomkonsenses zurück – und damit der parlamentarischen Opposition wirkungsvoll den Wind aus den Segeln. Aber auch die Befürworter*innen der Atomanlagen wurden bedient. Denn drittens stellt der sogenannte Atomausstieg auch eine Bestandsgarantie und Planungssicherheit für die wichtigsten Leistungsreaktoren der Stromkonzerne dar. Mit Laufzeitverlängerungen von zwei bis fünf Jahren für die jüngsten Reaktoren wurden die wegfallenden Kraftwerkskapazitäten der alten und kleineren Reaktoren weitgehend kompensiert. Für die Energiewirtschaft ein äußerst glimpfliches Ergebnis, mit dem nach einem dreifachen GAU nicht zu rechnen war.
Obendrauf gab es jedoch noch mehr:
Mit dem Beschluss, die sechs stärksten Leistungsreaktoren (Brokdorf, Grohnde, Lingen, Neckarwestheim 2, Gundremmingen C und Isar 2) rund um das Wahljahr 2021 innerhalb von zwölf Monaten vom Netz zu nehmen, wird ein politischer »Möglichkeitsraum« eröffnet. Dieser stellt zwar keine Garantie des Weiterbetriebs dar, legt aber einer zukünftigen Bundesregierung ein wirkmächtiges Instrument in die Hand, um den Ausstieg je nach Opportunität in Frage zu stellen.
Herbeigeführte Sachzwänge
Um die energiepolitische Option Atomenergie-Laufzeitverlängerung im Jahr 2021 einzulösen, brauchte es also lediglich eine frühzeitige Politik der Unterlassung und Behinderung von energiepolitischen Veränderungen, um die Stilllegung der Reaktoren 2021 als irrational und technisch gar nicht machbar erscheinen zu lassen. Aus Sicht der Atomwirtschaft gilt es, »Sachzwänge« herbeizuführen, die einen Weiterbetrieb der AKW nahelegen.
Schaut man sich die energiepolitischen Rahmenbedingung im Jahr 2019 an, so steht außer Zweifel, dass diese Obstruktionspolitik in vielen Bereichen seit Jahren und mit zunehmender Heftigkeit umgesetzt wird. Der für den Transport großer Mengen an Windstrom in den Süden notwendige Ausbau von Stromnetzen wurde von der Bayerischen Landesregierung von Beginn an blockiert und auch von vielen anderen Akteuren behindert. Nach Auskunft der Bundesnetzagentur waren im dritten Quartal 2018 von den notwendigen 7.700 Kilometern neuer Stromleitungen lediglich 4.600 Kilometer in Planungsverfahren, 1.800 genehmigt, und erst 950 tatsächlich gebaut. Ein Netzausbau, der den Ansprüchen des Atomausstieges und der Energiewende gerecht wird, ist bis 2022 vollkommen un-
realistisch geworden. Auch die Mitte des nächsten Jahrzehnts gilt mittlerweile als recht ambitioniertes Ziel.
Im Bereich der Energiewende sieht es nicht besser aus. Nach einem fulminanten Start mit einem Zubau von Windkraftanlagen mit bis zu 4.600 Megawatt jährlich Mitte des Jahrzehnts wurde vom Bundestag und der Bundesregierung mit geradezu brutalen Mitteln der Ausbau der Regenerativen zum Erliegen gebracht.
Mit mehreren drastischen Absenkungen der Einspeisevergütungen für Wind- und Solaranlagen sowie überbordend bürokratischen Ausschreibeverfahren wurde vor allem die Windenergie attackiert, die nur zu einem geringen Anteil im Besitz der großen Stromkonzerne ist (rund 5%).
Das Ergebnis: Im ersten Halbjahr 2019 wurden nur noch 85 Windräder in der gesamten Bundesrepublik aufgebaut. Da aber im gleichen Zeitraum 51 Windräder abgebaut wurden, bleibt netto lediglich ein Zuwachs von 34 Windrädern. In Bayern und fünf weiteren Bundesländern wurde im ersten Halbjahr 2019 kein einziges Windrad errichtet.
Dies hat zur Folge, dass in den Jahren 2016 und 2017 nach Angaben der IG Metall Küste rund 26.000 Arbeitsplätze in der Windindustrie verloren gingen. 2018 wurden weitere 3000 Arbeitsplätze gestrichen, bis schließlich im September 2019 mit Senvion ein großer Player Konkurs ging.
»Deutschlands ungeliebte Klimaschützer«
Entgegen aller klimapolitischer Sonntagsreden lässt sich Ende 2019 festhalten, dass mit Blick auf die Stilllegung der sechs größten AKWs in den nächsten drei Jahren das Feld bereitet wurde, um den Ersatz der Leistungskapazitäten durch regenerative Energie unmöglich erscheinen zu lassen.
Doch um das Aufschnüren des sogenannten Atomausstieges zugunsten der Laufzeitverlängerung einiger AKWs auf die Tagesordnung setzen zu können, braucht es eine gut durchdachte mediale Orchestrierung. Noch zu Zeiten der Laufzeitverlängerung 2010/2011 forcierten die Betreiber und das deutsche Atomforum sehr erfolgreich die Kampagne:
»Deutschlands ungeliebte Klimaschützer«. Angesichts des massiven Imageverlustes der Atomenergie in Deutschland werden die Konzerne sich 2019 doch eher weicher Kommunikationsstrategien bedienen, wie es die Consulting Firma PRGS schon vor zehn Jahren einem Stromkonzern in einem Gutachten riet.
Als weiche Kommunikationsstrategie wird darin geraten, die Atomenergie argumentativ mit dem positiv besetzten Klimaschutz zu verbinden und dies von verschiedenen Akteur*innen aus Parteien, Wirtschaft und gezielt ausgewählten Medien vertreten zu lassen – anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Im Gegensatz zur Laufzeitverlängerung 2011 werden sich die Betreiber daher dieses Mal bitten lassen, statt selbst öffentlich für die Atomenergie zu werben.
Aktuell wird die Forderung von Laufzeitverlängerungen provokativ vom Volkswagen-Chef Herbert Diess und dem Kuratoriumsvorsitzenden der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dem ehemaligen SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement medial vertreten. Ende September 2019 forderte aber auch der Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Peter Hauk (CDU), dazu auf, zugunsten eines schnelleren Kohleausstieges den Atomausstieg noch einmal zu überdenken.
Der Boden für eine AKW-Laufzeitverlängerung ist also bereitet, und es scheint absehbar, dass Umfragen lanciert werden, die mit Fragen wie: »Würden Sie für das Erreichen der 2030 Klimaziele den zeitlich begrenzten Weiterbetrieb von AKW hinnehmen?« einen Stimmungswechsel forcieren werden. Die amtierende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) formuliert es so: »Deutschland ist das einzige Land, das gleichzeitig aus Atomkraft und Kohle aussteigen will, und das, wo wir die Netze in Deutschland dafür noch nicht haben, wo wir die regenerativen Energien noch nicht so schnell hochgefahren haben, wie wir sie dann brauchen …« (Handelsblatt, 20.12.2018)
Wie schlüssig dieser Satz doch ist, wenn er ohne ein Wissen um seine Vorgeschichte und die Perspektive einer AKW-Laufzeitverlängerung gelesen wird.
Das Anti-Atom-Büro Hamburg