Es ist schon erstaunlich. Da fahren Castoren bezahlt von RWE oder E.on nach Sellafield und werden entladen. Als nächstes werden hochradioaktive Brennstäbe im tiefen blauen Wasser der Wiederaufbereitungsanlage aus den Castoren gehoben, später zersägt, aufgelöst und verglast.Und wie in einem magischen Akt, hinter dickem Bleiglas, verwandelt sich die nukleare Altlast der Konzerne in bundesdeutschen Müll, in „unseren Müll“. Und nicht nur das: alle, die schon gegen die Erzeugung dieser tödliche Altlasten gestritten haben, sollen nun schweigen und im nationalen Kollektiv das Produkt privatwirtschaftlichen Handelns schultern. So überzeichnet diese Beschreibung der Vorgänge im Umfeld der anstehenden „(Rück)transporte“ erscheint. Der hier zu beobachtende Prozess der Sozialisierung von Kosten, also des Abwälzens der Folgen privatwirtschaftlichen Handelns auf die Allgemeinheit zieht sich durch alle Bereiche des Betriebs von Atomanlagen von der Kernforschung über den Uranabbau bis hin zur Ent-Sorgung.
Sozialisierung von Anfang an – Subventionierung der Forschungskosten
Dass private Firmen mit vermeintlich billigem Atomstrom Gewinne machen, setzt zunächst voraus, dass die Allgemeinheit bereits Unsummen in Forschung und Infrastruktur investiert hat. Neben den zahlreichen staatlichen Kernforschungszentren (z.B. Geesthacht, Karlsruhe, Jülich) wurde bereits 1957 der EURATOM Vertrag geschlossen, durch den der „Kernforschung“ jährlich hunderte Millionen von Euro zufließen. Allein für die Jahre 2011–12 standen nach Angaben der EU-Kommision Mittel in Höhe von insgesamt 2200 Mio. Euro für die „Kernforschung“ zur Verfügung.
Externalisierung von Anfang an – der Uranabbau
Die horrenden Kosten und Folgen des Betriebs von Atomanlagen werden nicht nur innerhalb unserer Gesellschaft sozialisiert. Sie treffen vor allem Menschen in anderen Gesellschaften und zukünftige Generationen.
Weltweit betreiben nur 30 von 193 Ländern AKW, und nur rund die Hälfte dieser Länder betreibt mehr als fünf AKW – in der BRD sind es zurzeit sechs. Das Uran für den Betrieb dieser Atomanlagen stammt hingegen weitgehend aus Ländern und Regionen, die keine AKW besitzen (Namibia, Kasachstan, Australien, Niger…). So werden für den Betrieb eines AKW mit einer Leistung von 1000 MW jährlich rund 30 Tonnen angereichertes Uran benötigt. Dieser vergleichsweise geringen Menge stehen etwa 100.000t feste und 200.000t flüssige Abfälle gegenüber, die bei der Gewinnung des Urans vor Ort anfallen. Die dazu benötigten Wassermengen stellen gerade in den wüstenartigen Abbaugebieten, wie dem Niger, Namibia oder Australien ein großes ökologisches Problem dar. Rund 85% der ursprünglichen Radioaktivität verbleibt dabei in den Schlämmen und Absetzbecken (tailings). Dabei gibt es ähnlichwie bei der Endlagerproblematik auch für die „schadfreie Versiegelung“ der Halden und Schlämme für viele tausend Jahre kein schlüssiges Konzept, das ein Ausgasen von Radon oder das Versickern und Verwehen anderer radioaktiver Substanzen verhindern würde. Daneben sind auch große Mengen Arsen, Blei und Quecksilber in den Schlämmen zu finden. Die vorläufige Sanierung des Uranabbaus der ehemaligen DDR hat bis heute bereits 7 Milliarden Euro gekostet. Ein Aufwand, der im Niger oder in Namibia schlichtweg finanziell nicht zu stemmen wäre. Kosten, die sich niemals angemessen im Uranpreis niederschlagen, sondern auf die Gesellschaften der Uranförderländer abgewälzt werden.
Sozialisierung der Kosten im Normalbetrieb
Nirgends werden die hohen Kosten für die Allgemeinheit momentan deutlicher als beim britischen AKW Neubau Hinkley Point. Die EU-Kommission geht aktuell von Gesamtausgaben von unglaublichen 43 Milliarden Euro aus. Rentabel für die Betreiberfirmen ist das Kraftwerk nur, weil die britische Regierung ihnen Einspeisevergütungen garantiert, die drei Mal so hoch wie der Marktpreis sind.
Hinzu kommen immense Kosten für eine umfangreiche Sicherheitsinfrastruktur wie bereits von Robert Jungk („Der Atomstaat“) eindrucksvoll beschrieben, die der Staat den Betreibern zur Verfügung stellt, um die Atomanlagen zu schützen und den Widerstand gegen sie zu bekämpfen. Mit 33,5 Millionen Euro schlug alleine der Schutz des Castortransportes 2010 zu Buche. Aktuell lässt sich dies eindrucksvoll anhand der Militarisierung der Region Bure zur Durchsetzung des dortigen Endlagerprojektes beobachten.
Sozialisierung im Falle des GAU
Am 26. März 1971 nahm der Block 1 des AKW Fukushima seinen kommerziellen Betrieb auf, und es fehlten nur wenige Tage bis zum 40ten Jubiläum, als die Anlage am 11. März 2011 havarierte. Ohne den GAU hätte die Betreibergesellschaft Tepco (Tokyo Electric Power Company) im Frühjahr 2011 guten Grund zum Feiern gehabt, denn vierzig Jahre produzierte diese Anlage neben Strom und Atommüll vor allem Gewinne für Japans größten Energieerzeuger. Doch am 11.3.2011 endete abrupt die Zeit der Gewinne. Mit dem Mehrfach-Gau trat ein Schadensereignis ein, das alle jemals realisierten Gewinne Tepcos in den Schatten stellte. Im Gegensatz zu den Gewinnen, die Tepco immer zu Gunsten der Aktionäre zu nutzen wusste, treffen die Schäden nun vor allem die Allgemeinheit.
Da sind zum einen die rund 200.000 Menschen, die ihr Zuhause, ihren Lebensmittelpunkt und den größten Teil ihrer ökonomischen Basis verloren haben. Da sind zum anderen die Tausenden von Helfer_innen von Armee, Katastrophenschutz und Feuerwehr, die nun die Folgen des GAU begrenzen sollen. Und da ist nicht zuletzt der japanische Staat, der Tepco zumindest in Teilen verstaatlicht hat, um die Situation in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zu den Gewinnen, die über vierzig Jahre privatisiert wurden, werden die Kosten nun der Allgemeinheit aufgenötigt.
Externalisierung in der Zeit
Neben der Belastung anderer Gesellschaften wie beim Uranabbau, führt der Betrieb von Atomanlagen auch zu einer Belastung zukünftiger Generationen. Ohne in den „Genuss“ des Atomstroms zu kommen, wird es einen enormen Aufwand für zukünftige Generationen bedeuten, den strahlenden Müll zu bewachen und, wenn nötig, umzubetten, sollten sich die aktuellen „Endlagerkonzepte“ als unzureichend erweisen. Dass diese Problematik keinesfalls hypothetisch ist, zeigen die Vorgänge in der Asse. Kaum jemand, der die Einlagerung dort in den 60er und 70er Jahren entschieden und betrieben hat, ist heute noch am Leben. Und obwohl die meisten heute in der BRD Lebenden keinen „Vorteil“ in Form eines Stromkonsums durch die dort lagernden 126.000 Fässer Atommüll hatten, werden wir doch die mindestens 2 Milliarden teure Rückholung und Umbettung des Mülls bezahlen müssen.
Die Externalisierung von Folgen und Kosten in der Zeit findet sich aber nicht nur im Bereich der Atomkraft, sondern auch fast deckungsgleich bei anderen Energieträgern wie z.B. bei Öl oder Kohle (CO2) statt. Auch die Folgen des sich durch den CO2-Ausstoß in Zukunft drastisch ändernden Klimas wird die Gesellschaften im Süden, vor allem aber zukünftige Generationen wesentlich heftiger treffen als jene, die mit der Ölförderung ihr Geld gemacht haben. Im besten Fall wird dies bedeuten, sich auf immer häufigere Extremwetterlagen einstellen zu müssen. Viele werden aber ihren Wohnort und ihr soziales Umfeld verlassen müssen, um unter schlechteren Bedingungen eine Zukunftsperspektive im Norden zu suchen.
Sozialisierung des Risikos – Zwischen und Endlagerung
Doch nicht nur die Fässer in der Asse sind mittlerweile im Besitz der Allgemeinheit. Seit 2017 wurde die gesamte Zwischen- und (End)lagerung auf den Bund übertragen. Die EVU waren dabei bereit, den nicht unerheblichen Betrag von rund 23 Milliarden Euro in einen Fonds zu zahlen.
Trotz dieses hohen Betrages reagierten die Aktienkurse sofort positiv, denn was schwerer als die vielen Milliarden wog, waren die Unsicherheiten, die Risiken der sog. Ewigkeitskosten, die in den nuklearen Hinterlassenschaften stecken. Bislang wurden weit über 1 Milliarde Euro im Salzstock Gorleben vergraben, was aus den Endlagern Morsleben, Asse und Konrad wird, ist kaum absehbar. Mittlerweile stehen Pläne im Raum für ein weiteres Mega-Zwischenlager das als „Eingangslager“ für den Schacht Konrad diesen soll.
Wie aufwendig die Errichtung eines Lagers nach den Maßgaben des aktuellen Suchprozesses aussehen wird, zeichnet sich ebenfalls noch nicht ab. Dieses Risiko, diese Unsicherheiten, belastete über viele Jahre die Bilanzen der Konzerne – seit 2017 sind sie diese Sorge los. Für sie hat die sprichwörtliche „Ent-Sorgung“ des Atommülls für einen erheblichen, aber überschaubaren Betrag funktioniert. Der Allgemeinheit werden sie als Ewigkeitslasen noch lange Sorgen bereiten.
Unser Müll? In nationaler Verantwortung?
Das Abwälzen von Kosten stellt also beim Betrieb von Atomanlagen keinen Sonderfall dar, es ist der Normalzustand. Dass die Kosten und die Verantwortung für die CASTOR-Transporte sozialisiert werden ist daher nur konsequent. Doch jede halbwegs kritische Person sollte sich die Frage stellen, ob sie sich von diesem allzu offensichtlichen Trick hinters Licht führen lassen will. Anlässlich des anstehenden Castor-Transportes aus Frankreich fasste Markus Pflüger (Saarbrücken) 1999 in der aaa 101-102 die Gründe sich nicht vom Argument nationaler Verantwortung abhalten zu lassen wie folgt zusammen:
• Alle Transporte gewährleisten den Weiterbetrieb von Atomanlagen und lassen damit auch weiteren Atommüll antstehen. [in diesem Fall der Anlagen in Sellafield, AAB 2020]
• Seit 25 Jahren kämpfen wir gegen die Produktion dieses Atommülls!
• Es ist nicht „unser Müll“, es ist privater Müll von RWE, Siemens etc. nur die Gefährdung, die Schäden und die Kosten treffen uns alle!
• Wenn die „Verstopfungsstrategie“ Erfolg hat, gibt es keine Wiederaufarbeitung mehr, welche insbesondere die Umgebungen der WAA’s aber auch global verstrahlt und verseucht. – Durch den Widerstand gegen die WAA Transporte wurden diese 2005 eingestellt• „Unser Müll“? Seit wann gehören wir zu den internationalen profitorientierten Großkonzernen, die rücksichtslos auf unsere Kosten AKW’s betreiben?
• Der Atommüll wurde von privatwirtschaftlichen, zum Teil multinationalen Unternehmen gegen unseren Willen produziert. Französische sowie englische Unternehmen verdienen sehr gut an der Wiederaufarbeitung dieses Mülls. (Die französische Cogema drohte sogar mit Klagen gegen deutsche AKW-Betreiber, falls der vertraglich vereinbarte Atommüll nicht rechtzeitig eintrifft.)
• Innerhalb Europas fallen die Grenzen, wir Europäer wachsen zusammen, heißt es – während die „Festung Europa“ v.a. gegen Flüchtlinge ausgebaut wird. Wenn es den Atominteressen nützt, sind die innereuropäischen Grenzen plötzlich wieder wichtig. Die Grenzen werden also gezogen wie es das Kapital und der Profit benötigen! Radioaktivität kennt aber keine Grenzen…
• Castor-Blockaden sind Widerstand gegen die unsinnige europaweite Verschiebung von Atommüll, es gibt keinen nationalen Müll! „Wiederaufarbeitung“ und „sichere Endlagerung“ sind Illusionen! La Hague und Sellafield sind ungeeignet und gefährlich – Gorleben und Ahaus sind ungeeignet und gefährlich – die Transporte sind ungeeignet und gefährlich! Die Atomindustrie ist dafür verantwortlich (nicht die Deutschen, die Engländer oder die Franzosen), die Allgemeinheit ist nicht verantwortlich, sie ist höchstens leidtragend und muss für die Kosten aufkommen. Deswegen muss die internationale Atomindustrie gemeinsam bekämpft werden.
Dem bleibt auch 22 Jahre danach nichts hinzu zu fügen.
Anti-Atom-Büro Hamburg 2020