Niemand hat die Absicht, die Laufzeiten zu verlängern

Wirtschaft & Soziales Der nächste Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomkraft könnte mit Verweis auf die Klimaziele erfolgen

Für weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung ist der Atomausstieg beschlossene Sache, viele Menschen glauben sogar, dass alle Atomkraftwerke bereits abgeschaltet sind. Doch wie energiepolitische Untote laufen die sieben leistungsstärksten Reaktoren im Jahr 2019 noch immer. 19 Jahre nach dem für weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung ist der Atomausstieg beschlossene Sache, viele Menschen glauben sogar, dass alle Atomkraftwerke bereits abgeschaltet sind. Doch wie energiepolitische Untote laufen die sieben leistungsstärksten Reaktoren im Jahr 2019 noch immer. 19 Jahre nach dem Beginn der verschiedenen Atomausstiege und -konsense liegt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch auf Platz drei der installierten nuklearen Kraftwerksleistung. Angesichts der massiven antinuklearen Stimmung nach dem dreifachen GAU von Fukushima 2011 ein bemerkenswerter Umstand.
Wer hätte damals gedacht, dass die Stilllegung der acht ältesten Reaktoren ausreichen würde, um den Widerstand weitgehend zu befrieden und den verbliebenen neun Reaktoren eine Bestandsgarantie von bis zu einem Jahrzehnt zu verschaffen? Unberührt vom sogenannten Atomausstieg blieben auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherung in Gronau, die jeweils von erheblicher internationaler Bedeutung sind. So versorgt die Anlage in Lingen neben vielen anderen AKWs weltweit auch die rissigen belgischen Reaktoren Tihange und Doel mit Brennelementen. Ungeschoren kamen auch die Kernforschungszentren (KIT Karlsruhe, FRMII Garchingen) davon, die mit enormem finanziellem Aufwand an zukünftigen Reaktorlinien forschen und die
atomtechnische Ingenieurs-Community am Leben halten.
Noch lange nicht erledigt Um zu verstehen, weshalb aktuell eine Reihe von Anti-Atom-Gruppen eine Laufzeitverlängerung von AKWs 2021/22 für wahrscheinlich halten, lohnt es sich, die innere Logik des Atomausstieges von 2011 genauer unter die Lupe zu nehmen. Zunächst einmal war es für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung notwendig, die Proteste außerhalb und innerhalb der Parlamente zu befrieden. Wie sehr Letzteres drängte, machte der Regierungswechsel im CDU-Kernland Baden-Württemberg deutlich. Hier war die Welle der Empörung über den Super-Gau maßgeblich dafür verantwortlich, dass Winfried Kretschmann erster grüner Beginn der verschiedenen Atomausstiege und -konsense liegt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch auf Platz drei der installierten nuklearen Kraftwerksleistung. Angesichts der massiven antinuklearen Stimmung nach dem dreifachen GAU von Fukushima 2011 ein bemerkenswerter Umstand.
Wer hätte damals gedacht, dass die Stilllegung der acht ältesten Reaktoren ausreichen würde, um den Widerstand weitgehend zu befrieden und den verbliebenen neun Reaktoren eine Bestandsgarantie von bis zu einem Jahrzehnt zu verschaffen? Unberührt vom sogenannten Atomausstieg blieben auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherung in Gronau, die jeweils von erheblicher internationaler Bedeutung sind. So versorgt die Anlage in Lingen neben vielen anderen AKWs weltweit auch die rissigen belgischen Reaktoren Tihange und Doel mit Brennelementen. Ungeschoren kamen auch die Kernforschungszentren (KIT Karlsruhe, FRMII Garchingen) davon, die mit enormem finanziellem Aufwand an zukünftigen Reaktorlinien forschen und die atomtechnische Ingenieurs-Community am Leben halten.

Noch lange nicht erledigt

Um zu verstehen, weshalb aktuell eine Reihe von Anti-Atom-Gruppen eine Laufzeitverlängerung von AKWs 2021/22 für wahrscheinlich halten, lohnt es sich, die innere Logik des Atomausstieges von 2011 genauer unter die Lupe zu nehmen.
Zunächst einmal war es für die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung notwendig, die Proteste außerhalb und innerhalb der Parlamente zu befrieden. Wie sehr Letzteres drängte, machte der Regierungswechsel im CDU-Kernland Baden-Württemberg deutlich. Hier war die Welle der Empörung über den Super-Gau maßgeblich dafür verantwortlich, dass Winfried Kretschmann erster grüner Ministerpräsident wurde. Den heutigen Kohleprotesten ähnlich, bedrohte der bis weit ins bürgerliche Lager reichende Zweifel an der herrschenden Energiepolitik die Machtbasis der CDU. In einem vielschichtigen Manöver gelang es Angela Merkel, zunächst einmal durch die Stilllegung einer Reihe sehr alter und in der Kritik stehender Reaktoren (z.B. Biblis und Krümmel) dem Wunsch einer Bevölkerungsmehrheit nach AKW- Abschaltungen nachzukommen. Darüber hinaus nahm sie die kurz vorher beschlossenen Laufzeitverlängerungen auf die Linie des rot-grünen Atomkonsenses zurück – und damit der parlamentarischen Opposition wirkungsvoll den Wind aus den Segeln. Aber auch die Befürworter*innen der Atomanlagen wurden bedient. Denn drittens stellt der sogenannte Atomausstieg auch eine Bestandsgarantie und Planungssicherheit für die wichtigsten Leistungsreaktoren der Stromkonzerne dar. Mit Laufzeitverlängerungen von zwei bis fünf Jahren für die jüngsten Reaktoren wurden die wegfallenden Kraftwerkskapazitäten der alten und kleineren Reaktoren weitgehend kompensiert. Für die Energiewirtschaft ein äußerst glimpfliches Ergebnis, mit dem nach einem dreifachen GAU nicht zu rechnen war.
Obendrauf gab es jedoch noch mehr:
Mit dem Beschluss, die sechs stärksten Leistungsreaktoren (Brokdorf, Grohnde, Lingen, Neckarwestheim 2, Gundremmingen C und Isar 2) rund um das Wahljahr 2021 innerhalb von zwölf Monaten vom Netz zu nehmen, wird ein politischer »Möglichkeitsraum« eröffnet. Dieser stellt zwar keine Garantie des Weiterbetriebs dar, legt aber einer zukünftigen Bundesregierung ein wirkmächtiges In­stru­ment in die Hand, um den Ausstieg je nach Opportunität in Frage zu stellen.

Herbeigeführte Sachzwänge

Um die energiepolitische Option Atomenergie-Laufzeitverlängerung im Jahr 2021 einzulösen, brauchte es also lediglich eine frühzeitige Politik der Unterlassung und Behinderung von energiepolitischen Veränderungen, um die Stilllegung der Reaktoren 2021 als irrational und technisch gar nicht machbar erscheinen zu lassen. Aus Sicht der Atomwirtschaft gilt es, »Sachzwänge« herbeizuführen, die einen Weiterbetrieb der AKW nahelegen.
Schaut man sich die energiepolitischen Rahmenbedingung im Jahr 2019 an, so steht außer Zweifel, dass diese Obstruktionspolitik in vielen Bereichen seit Jahren und mit zunehmender Heftigkeit umgesetzt wird. Der für den Transport großer Mengen an Windstrom in den Süden notwendige Ausbau von Stromnetzen wurde von der Bayerischen Landesregierung von Beginn an blockiert und auch von vielen anderen Akteuren behindert. Nach Auskunft der Bundesnetzagentur waren im dritten Quartal 2018 von den notwendigen 7.700 Kilometern neuer Stromleitungen lediglich 4.600 Kilometer in Planungsverfahren, 1.800 genehmigt, und erst 950 tatsächlich gebaut. Ein Netzausbau, der den Ansprüchen des Atomausstieges und der Energiewende gerecht wird, ist bis 2022 vollkommen un-
realistisch geworden. Auch die Mitte des nächsten Jahrzehnts gilt mittlerweile als recht ambitioniertes Ziel.
Im Bereich der Energiewende sieht es nicht besser aus. Nach einem fulminanten Start mit einem Zubau von Windkraftanlagen mit bis zu 4.600 Megawatt jährlich Mitte des Jahrzehnts wurde vom Bundestag und der Bundesregierung mit geradezu brutalen Mitteln der Ausbau der Regenerativen zum Erliegen gebracht.
Mit mehreren drastischen Absenkungen der Einspeisevergütungen für Wind- und Solaranlagen sowie überbordend bürokratischen Ausschreibeverfahren wurde vor allem die Windenergie attackiert, die nur zu einem geringen Anteil im Besitz der großen Stromkonzerne ist (rund 5%).
Das Ergebnis: Im ersten Halbjahr 2019 wurden nur noch 85 Windräder in der gesamten Bundesrepublik aufgebaut. Da aber im gleichen Zeitraum 51 Windräder abgebaut wurden, bleibt netto lediglich ein Zuwachs von 34 Windrädern. In Bayern und fünf weiteren Bundesländern wurde im ersten Halbjahr 2019 kein einziges Windrad errichtet.
Dies hat zur Folge, dass in den Jahren 2016 und 2017 nach Angaben der IG Metall Küste rund 26.000 Arbeitsplätze in der Windindustrie verloren gingen. 2018 wurden weitere 3000 Arbeitsplätze gestrichen, bis schließlich im September 2019 mit Senvion ein großer Player Konkurs ging.

»Deutschlands ungeliebte Klimaschützer«

Entgegen aller klimapolitischer Sonntagsreden lässt sich Ende 2019 festhalten, dass mit Blick auf die Stilllegung der sechs größten AKWs in den nächsten drei Jahren das Feld bereitet wurde, um den Ersatz der Leistungskapazitäten durch regenerative Energie unmöglich erscheinen zu lassen.
Doch um das Aufschnüren des sogenannten Atomausstieges zugunsten der Laufzeitverlängerung einiger AKWs auf die Tagesordnung setzen zu können, braucht es eine gut durchdachte mediale Orchestrierung. Noch zu Zeiten der Laufzeitverlängerung 2010/2011 forcierten die Betreiber und das deutsche Atomforum sehr erfolgreich die Kampagne:
»Deutschlands ungeliebte Klimaschützer«. Angesichts des massiven Imageverlustes der Atomenergie in Deutschland werden die Konzerne sich 2019 doch eher weicher Kommunikationsstrategien bedienen, wie es die Consulting Firma PRGS schon vor zehn Jahren einem Stromkonzern in einem Gutachten riet.
Als weiche Kommunikationsstrategie wird darin geraten, die Atomenergie argumentativ mit dem positiv besetzten Klimaschutz zu verbinden und dies von verschiedenen Akteur*innen aus Parteien, Wirtschaft und gezielt ausgewählten Medien vertreten zu lassen – anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Im Gegensatz zur Laufzeitverlängerung 2011 werden sich die Betreiber daher dieses Mal bitten lassen, statt selbst öffentlich für die Atomenergie zu werben.
Aktuell wird die Forderung von Laufzeitverlängerungen provokativ vom Volkswagen-Chef Herbert Diess und dem Kuratoriumsvorsitzenden der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dem ehemaligen SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement medial vertreten. Ende September 2019 forderte aber auch der Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Peter Hauk (CDU), dazu auf, zugunsten eines schnelleren Kohleausstieges den Atomausstieg noch einmal zu überdenken.
Der Boden für eine AKW-Laufzeitverlängerung ist also bereitet, und es scheint absehbar, dass Umfragen lanciert werden, die mit Fragen wie: »Würden Sie für das Erreichen der 2030 Klimaziele den zeitlich begrenzten Weiterbetrieb von AKW hinnehmen?« einen Stimmungswechsel forcieren werden. Die amtierende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) formuliert es so: »Deutschland ist das einzige Land, das gleichzeitig aus Atomkraft und Kohle aussteigen will, und das, wo wir die Netze in Deutschland dafür noch nicht haben, wo wir die regenerativen Energien noch nicht so schnell hochgefahren haben, wie wir sie dann brauchen …« (Handelsblatt, 20.12.2018)
Wie schlüssig dieser Satz doch ist, wenn er ohne ein Wissen um seine Vorgeschichte und die Perspektive einer AKW-Laufzeitverlängerung gelesen wird.
Das Anti-Atom-Büro Hamburg

Altes Valium in neuen Schläuchen

Anmerkungen aus der antiAKW-Bewegung zum verkündeten „Kohleausstieg“

Viel ist zu dem seit einiger Zeit vorliegenden Abschlussbericht der „Kommission für Wachstum, Stukturwandel und Beschäftigung“, in dem manche gern einen Beschluss zum bundesdeutschen Kohleausstieg sehen, bereits gesagt worden. Kaum beleuchtet wurde der Bericht der sogenannten Kohlekommission bislang in (bewegungs-)historischer Perspektive. Diesen Versuch unternimmt der vorliegende Kommentar aus der anti-AKW-Bewegung, die in den letzten Jahrzehnten bereits zweimal mit ähnlichen Beschlusslagen zu tun und somit Gelegenheit hatte, etwas Erfahrung damit zu sammeln.

Von Akteuren und Anliegen

Wenn Regierungen Kommissionen einsetzen, kann davon ausgegangen werden, dass das Problem, das sie angehen sollen, so delikat und der dahinter liegende Konflikt in der Gesellschaft so wirkmächtig geworden ist, dass eine Lösung bzw. die Befriedung des Konflikts nur möglich erscheint, wenn alle relevanten Akteure eingebunden sind. Das Ergebnis solcher Kommissionen muss deshalb immer auch daraufhin analysiert werden, welche Akteure und Anliegen wie bedient worden sind. Drei Akteure der Kohlekommission können unmittelbar als Gewinner beschrieben werden:
• Die aktuelle Bundesregierung, die nach einem Sommer tiefster Krisen endlich einen Beweis ihrer Handlungsfähigkeit erbringen musste und ihn mit diesem Ergebnis erbringen konnte,
• die Energiewirtschaft, die sich mit konventioneller Technik in ungünstigen Zeiten bewegt und die weitreichende Bestandsgarantien erhielt, gerade für ihre am wenigsten zeitgemäßen und umkämpftesten Anlagen
• und die Länder Sachsen, Sachsen Anhalt und Brandenburg, deren teils vor Landtagswahlen stehende Regierungen nun hoffen dürfen, mit milliardenschweren Infrastrukturprogrammen die nahezu allerorten erstarkende AfD einhegen zu können. Was aber ist mit den Klimainteressen? Vertreten durch die großen Umweltverbände saß auch die Klimabewegung in Teilen mit am Tisch.
Für sie sieht das Ergebnis schlechter aus: Von den fünf größten CO2-Emitenten Europas, sämtlich Braunkohlekraftwerke, stehen vier in Deutschland. Wäre es in der Kohle-Kommission um das Anliegen gegangen, möglichst schnell die CO2-Emissionen Deutschlands zu reduzieren, wäre ein schnelles Ende dieser Kraftwerke besonders naheliegend gewesen. Von den laut Beschluss in den nächsten fünf Jahren stillzulegenden Kraftwerken sind jedoch weniger als ein Viertel Braunkohlekraftwerke. Lediglich einzelne Blöcke werden abgeschaltet und keinem einzigen Standort droht in den nächsten Jahren das Aus. Die deutschen Rekordhalter bleiben unangefochten in den Top Ten der CO2-Quellen Europas. Die Klimabewegung wird also kärglich abgespeist beim „Kohleausstieg“, obgleich – und das ist bemerkenswert – der milliardenschwere Kompromiss der politischen Öffentlichkeit nicht zuletzt mit Blick auf die Klimainteressen schmackhaft gemacht werden soll.

Der Ausstieg: ein Wiedergänger

Als langjährig Aktive der anti-AKW-Bewegung wundern wir uns über diesen Widerspruch kaum, kommt uns doch das energiepolitische Muster in diesem Papier nur zu bekannt vor. Bereits aus dem sogenannten „Atomkonsens“, im Jahr 2000 ausgehandelt von der damaligen rot-grünen Bundesregierung und den großen Energieversorgungsunternehmen, gingen die vier „Energieriesen“ mit großzügigen „Restlaufzeiten“ für ihre AKW und somit Bestandsgarantien als heimliche Gewinner hervor, während das Papier vornehmlich als umweltpolitische Leistung verkauft wurde. Und das Muster kehrte wieder im Ausstieg von 2011, Merkels gefeierter atompolitischer Kehrtwende. Zwar wurden absolut veraltete Schrottreaktoren wie die AKW Krümmel und Biblis abgeschaltet, jedoch bekam fast die Hälfte der anderen AKW einen Bestandsschutz für fünf bis zehn Jahre. Angesichts der gesellschaftlichen Stimmung nach dem GAU in Japan war das eine überraschend magere Bilanz für die anti-AKW-Bewegung und eine ähnliche, wie wir sie jetzt für die Klimabewegung ziehen müssen.
Selbst in den Details ähneln sich die Beschlüsse: Beim Großteil der in den nächsten Jahren abzuschaltenden Kohleraftwerke handelt es sich um längst nicht mehr rentable Steinkohlekraftwerke. In den kommenden Jahren wären sie ohnehin abgeschafft worden, nun aber können die Konzerne für diesen Schritt Stilllegungsprämien verlangen, die sie sonst nicht erhalten würden. Als besonderen Clou gibt es für die Besitzer des umstrittenen, nach Rechtsverstößen bei der Genehmigung und wegen technischer Probleme nie ans Netz gegangenen Kraftwerkes Datteln eine fette Entschädigung. Auch hier liefert der „Atomkonsens“ eine Vorlage:
Für das AKW Mülheim-Kärlich, das rechtswidrig auf erbebengefährdetem Grund errichtet worden war und nach nur rund 30 Monaten Laufzeit vom Netz genommen werden musste, bekam RWE mehr als 30 Jahre Volllastbetrieb als Reststrommenge gutgeschrieben und konnte sie auf andere AKW übertragen. Geschaffen wurde damals wie heute vor allem Planungssicherheit für die Konzerne inklusive Bestandsschutz für ihre wichtigsten Anlagen. Und das in einem – gelinde gesagt – herausfordernden Marktumfeld: Angesichts einer durch Fukushima schockierten Öffentlichkeit 2011 und angesichts einer verkündeten Energiewende, der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst und krachend verfehlter Klimaziele jetzt.

Energiepolitik mit Zeitzünder

Eine zentrale Erkenntnis des sogenannten Atomausstiegs ist, dass derlei Politik vor allem die Reaktion auf aktuelle Kräfteverhältnisse ist und Konzerne und Regierung versuchen, die Zeit für sich spielen zu lassen. Nach Fukushima 2011 war die Liste der sofort abzuschaltenden Schrottreaktoren schnell  zusammengestellt. Für die Übrigen wurde das Ende der Stromproduktion vage für zehn Jahre später benannt. Erst als angesichts der massiven Proteste klar wurde, dass dieser Plan wegen seiner unsicheren Aussichten nicht durchsetzbar
war, entschied sich die Regierung Merkel für Zwischenschritte: Vier, sechs und acht Jahre nach dem Gau sollte jeweils einen Reaktorblock abgeschaltet werden (Ende 2019 Philippsburg 2). Die übrigen Kraftwerke sollten dann alle zehn bzw. elf Jahre später stillgelegt werden.
Ähnliches findet sich im sogenannten Kohleausstieg. Nach einer initialen Stilllegung von größtenteils unrentablen Steinkohlekraftwerken, die öffentlichkeitswirksam inszeniert wird, soll ähnlich wie bei den Entwürfen zum Atomausstieg bis Anfang des übernächsten Jahrzehnts erst einmal nicht mehr passieren als Energiepolitik mit Zeitzünder das, was marktwirtschaftlich geboten erscheint: „Die aktuell vorliegenden Studien gehen davon aus, dass bis 2030 die Emissionen der Energiewirtschaft auch ohne zusätzliche Maßnahmen signifikant sinken werden.“ (S. 17 des Abschlussberichts). Die Zielmarke „Ausstieg“ wird dann auf das Jahr 2038 verlegt. Aber werden sich Politiker_innen in 3,5 Legislaturperioden noch an Beschlüsse aus dem vorletzten Jahrzehnt gebunden fühlen? Ist das nicht ebenso zweifelhaft wie das Versprechen, dass gut zweieinhalb Legislaturperioden nach dem verkündeten Atomausstieg 2022 die verbliebenen Reaktoren tatsächlich vom Netz gehen? Obwohl Bayern den Netzausbau behindert, wo es geht? Obwohl die CDU den Ausbau der Windenergie erfolgreich torpediert? Und obwohl die aktuelle Umweltministerin vernehmbar warnt, dass nirgendwo sonst in der Welt Kohle- und Atomausstieg gleichzeitig stattfinden sollen, während in den Zeitungen die neuesten AKW-Technologien als Klimaretter vorgestellt werden? Doch, ist es. Zweifel an Ausstiegsversprechen sind höchst angebracht, meinen wir, und halten es für keineswegs unwahrscheinlich, dass man sich je nach Opportunität zum gegebenen Zeitpunkt „Laufzeitverlängerungen“ überlegt, wie 2010, als die schwarz-gelbe Merkel-Regierung kurzerhand den rot-grünen „Atomkonsens“ vom Tisch wischte.

Wach bleiben!

Wachsamkeit und ungebrochener Widerstandsgeist wären somit mehr als angebracht. Doch fatalerweise werden mit Ausstiegsversprechen ganz unabhängig von ihrer Glaubwürdigkeit selbst radikale Umweltbewegungen befriedet. Mit der Verkündung des sogenannten Atomausstiegs schwand die Mobilisierungsfähigkeit der ehemals beeindruckenden anti-Atom-Bewegung. Heute werden Personen, die aus denselben guten Gründen aufstehen, die vor zehn Jahren noch Tausende auf die Straßen und in die Wälder brachten, für Ihre Aktionen bestenfalls belächelt. Es wird kluges Agieren brauchen, um die radikale Klimagerechtigkeitsbewegung beim Thema Kohle vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Gelingt dies nicht, könnte der Kohlekompromiss nicht nur keine Verbesserung, sondern in seiner Eigenschaft als Schlafmittel für die kritische Öffentlichkeit sogar eine dramatische Verschlechterung der Ausgangssituation für das Klima bewirken.
Um aktionsfähig zu bleiben, scheint es uns angezeigt, den Widerstand in den Dörfern zu unterstützen, die vom Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke betroffen sind. An ihnen lässt sich wohl am deutlichsten zeigen, dass ein Kohleausstieg nicht stattfindet, und in den Initiativen vor Ort lassen sich Verbündete finden, die nicht einfach das Aktionsfeld wechseln (können), wenn das Thema Klimapolitik in absehbarer Zeit als abgehakt gilt.
Energiepolitik bleibt Handarbeit –
Für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht möglich sind.

antiAtom Büro Hamburg

Es ist noch nicht vorbei – Die Rückkehr der Atomkraft verhindern

The Return of the Living Dead
Die Rückkehr der Atomkraft verhindern – Castor stoppen!

Castor-Alarm 2019/20? Hat sich da nicht jemand im Jahrzehnt vergriffen? Für viele ist der Atomausstieg beschlossene Sache, manche glauben gar, dass alle deutschen Atomkraftwerke bereits abgeschaltet sind. Doch die acht leistungsstärksten Reaktoren laufen noch immer – und ihr Weiterbetrieb wird massiv vorangetrieben. Zugleich rollt – womöglich schon bald – ein Castor-Transport von LaHague nach Philipsburg. Deshalb: Ja! Castor-Alarm!
Vor rund zweieinhalb Legislaturperioden, kurz nach Fukushima, sah sich die Bundesregierung gezwungen, dem Druck der Straße nachzugeben und die 2011 vereinbarte Laufzeitverlängerung (!) zurückzunehmen und zum zweiten Mal einen Ausstieg zu beschließen. Die acht ältesten AKW wurden stillgelegt, doch gelang es, den Weiterbetrieb der wichtigsten Leistungsreaktoren für ein weiteres Jahrzehnt zu sichern. 2019 liegt Deutschland europaweit immer noch auf Platz 3 der installierten Atomstromproduktion, angesichts der gesamtgesellschaftlichen Anti-AKW-Stimmung eine bemerkenswerte Situation.

Zwar ist versprochen, dass in den nächsten drei Jahren alle sieben noch laufenden AKW abgeschaltet werden, doch scheint der Ausstieg 2022 zweifelhaft. Der Grund: Sachzwänge – geschaffen durch eine Energiepolitik der Unterlassung und geeignet, den Weiterbetrieb der Reaktoren geradezu rational erscheinen zu lassen. In den Worten der aktuellen Umweltministerin: „Deutschland ist das einzige Land, das gleichzeitig aus Atomkraft und Kohle aussteigen will, und das, wo wir die Netze in Deutschland dafür noch nicht haben, wo wir die regenerativen Energien noch nicht so schnell hochgefahren haben, wie wir sie dann brauchen…“ (Svenja Schulze, Handelsblatt, 20.12.2018)

Was Schulze dabei nicht sagt, ist, dass diese Situation seit 2011 absehbar war und es dennoch an vielen Stellen unterlassen wurde, sich auf die Abschaltung der restlichen Großkraftwerke vorzubereiten. Der Ausbau der regenerativen Energien wurde an vielen Stellen behindert, die Förderung der Windenergie zusammengestrichen. Der Zubau von Solar- und Windkraftanlagen ist inzwischen geradezu kollabiert. Gleichzeitig hintertreibt etwa die Bayrische Landesregierung massiv den Ausbau der Stromnetze, der notwendig sein wird, um den regenerativen Strom von Nord- nach Süddeutschland zu bringen. Von einer dezentralen Energieversorgung spricht schon niemand mehr.
Eine Politik mit dem Ziel, die AKWs zu ersetzen, müsste anders aussehen. Hat es sie je gegeben? Oder hat man es von Anfang an darauf angelegt, eine spätere Laufzeitverlängerung vorzubereiten?

Gleich wie ist es höchste Zeit, die Anti-Atom-Bewegung aus dem Abklingbecken zu holen! Der geplante Castor-Transport nach Philipsburg ist ein geeigneter Anlass. Wie beim ersten Castor Transport 1995 ist auch diesmal nicht genau klar, wann der Castor rollt. Es heißt also Augen auf.
Organisiert Infoveranstaltungen – „Seid bereit!“

Atomtransporte stoppen
Widerstand gegen fossiles Denken organisieren
Sofortige Stilllegung aller Atomanlagen!
Für eine Gesellschaft, in der Atomanlagen nicht möglich sind!

Selbstgemachte Sachzwänge

Sachzwänge kommen daher als eine Art höhere Gewalt, die das politische Handeln vorgibt. Die Sache zwingt nun mal. Für Politiker_innen hat das den Charme, dass missliebige Entscheidungen auf die Sachzwanglogik und nicht auf sie zurückfallen.
Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich aber so mancher Sachzwang als das Ergebnis von Ignoranz und Unterlassung.

Beispiel: Kohleausstieg

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Umweltgipfel von Rio wird immer noch so getan als käme die Notwendigkeit, die Kohleverstromung zu beenden, aus heiterem (sic.) Himmel und nun müsse man sich erstmal Gedanken machen, wie das genau gehen soll (Kohlekommission). Dabei werden Arbeitsplätze als Sachzwang ins Feld geführt und es wird eine komplexe Umstrukturierung der Regionen in Stellung gebracht, die man ja nicht einfach mal so stemmen könne.
Doch die Tatsache, dass die allermeisten der jetzt angeführten Arbeitsplätze im Zuge unterlassener Klimaschutzpolitik erst nach dem Gipfel in Rio angesiedelt wurden, wird verschwiegen. So wurde beispielsweise der Tagebau Garzweiler II 14 Jahre nach Rio und neun Jahre nach Verabschieden des Kyoto-Protokolls aufgefahren, so als hätte es eine Debatte um CO2 als Treibhausgas nie gegeben.

 

Vintage ist in! – Laufzeitverlängerungen in Europa

Da sich in Westeuropa kaum mehr neue AKW durchsetzen (und finanzieren) lassen, ist für die Atomkonzerne die Laufzeitverlängerung das Mittel der Wahl. Sie erspart aufwändige Genehmigungsverfahren, Proteste an bereits etablierten Standorten bleiben meist aus und Personal und Infrastruktur sind bereits vorhanden.

Sei es in Schweden, wo ein Atomausstieg bis 2010 geplant war, in Belgien, Spanien, Großbritannien oder Frankreich, quer durch Europa werden nach und nach die Stilllegungsdaten der Alt- und Uraltkraftwerke nach hinten verschoben, weil sich nicht ernsthaft um Alternativen gekümmert wurde oder schlicht die Interessen der Atomkonzerne (siehe Frankreich) zu mächtig erscheinen. Geplante und zum Teil reale Laufzeiten von über vierzig Jahren etablieren sich als neuer Standard. Es wird sogar schon von 60 Jahren Laufzeit phantasiert (Schweden). Gleichzeitig steigt die Gefahr eines GAUs mit dem Altern zentraler Bauteile der Anlagen drastisch an.
Eine Laufzeitverlängerung auch in Deutschland zu befürchten, bedeutet also lediglich, die energiepolitischen Entwicklungen in Europa zur Kenntnis zu nehmen und sich nicht allein auf „Versprechen“ der vorvorletzten Bundesregierung zu verlassen.

 

Versprochen ist versprochen und … äh… – Wieso eigentlich ein Castor nach Philipsburg?

Versprechen haben beim Betrieb von Atomanlagen eine lange Geschichte. Ohne sie wäre der Betrieb der Anlagen nicht vermittelbar. Zu den obskursten und zugleich bekanntesten dieser Versprechen gehören die Idee, man könne die Hinterlassenschaften der Anlagen verantwortungsvoll endlagern und die Idee, man könne sie problemlos wiederverwerten.

Zunächst wurden Atomanlagen in Betrieb genommen ohne sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wo denn die hochradioaktiven Zerfallsprodukte (beschönigend „Atommüll“ genannt) verbleiben sollten. Als dies als Problem benannt wurde, begaben sich Betreiber und Regierende auf die Suche nach einem Ort, der einstmals „Endlager“ genannt werden könnte. Die Hoffnung, dass es überhaupt ein geeignetes Dauerlager für die Zerfallsprodukte geben könnte, teilten schon damals nicht alle. Dennoch wurde die darauf gestützte Erkundung, etwa von Gorleben, atomrechtlich als Entsorgungsnachweis und somit als Voraussetzung für den Betrieb der Anlagen anerkannt. Die Prophezeiung, irgendwann fündig zu werden, reichte.

„Wiederaufbereitung“ hieß das Versprechen, radioaktive Reststoffe nach geeigneter Behandlung in entsprechenden Anlagen (den WAA) wieder in Reaktoren stecken zu können. Auch dieses Versprechen galt als „Entsorgungsnachweis“ und so wurde der deutsche Atommüll die WAAs La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) verschoben, wo er sich inzwischen türmt und von wo er jetzt vertragsgemäß wieder zurückgenommen werden muss, wie mit dem anstehenden Transport nach Philipsburg.

Wird der Müll dann dort wiederverwendet? Nein. Das Versprechen nuklearer Endloskreisläufe konnte nicht eingelöst werden, aus technischen und politischen Gründen. Aber in Philipsburg wurde der Müll einstmals produziert und dort gibt es eines der sogenannten „Zwischenlager“ für hochradioaktiven Atommüll. Wie lange wird der Müll dort bleiben? Möglicherweise bis ein geeignetes „Endlager“ gefunden wurde. Mit der Suche danach (auf einer „weißen Landkarte“) wurde gerade wieder begonnen und sie wird in zwanzig Jahren beendet sein. Das ist jedenfalls versprochen.

Nennen wir‘s Energiekämpfe
Für Diejenigen, die in der Anti-Atom-Bewegung organisiert sind und waren ging es nie einfach nur um den Betrieb von Atomkraftwerken. Von Anfang an war mit der Kritik an den Atomanalgen auch verbunden an den Grundfesten dieser Gesellschaft zu rütteln. Atomkraft nein Danke heist – so kann es nicht weiter gehen.

Der Betrieb von Atomanlagen ist konsequenter Ausdruck einer Gesellschaft, die Profite privatisiert und die Kosten des Betriebs der Anlagen konsequent sozialisiert. Sei es entlang kolonialer Linien beim Uranabbau und der Umweltzerstörung dabei oder der Umlegung der immensen Kosten für Forschung und „Entsorgung“ auf die Allgemeinheit. Energiekämpfe sind immer auch soziale Kämpfe darum wem in dieser Gesellschaft welche Perspektiven möglich sind, und wem diese beschnitten werden.
Wir sitzen nicht in einem Boot!
Die Folgen von Klimawandel und Artensterben, Grundwasserverseuchung und Landraub stellen für die einen Profitmöglichkeiten dar, für die Andere bedeutet es den Verlust der Lebensgrundlagen, Kampf um Ressourcen, am Ende Flucht.

 

Für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit ?!!!
Tag für Tag werden in den Uranabbaugebieten riesige Mengen an Grundwasser verseucht und radiaoaktiver Abraum in die Landschaft gekippt. Dies trifft uns weniger als Menschen in Niger, Kanada oder Australien. Die Forderung nach der sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen versucht dieser Situation Rechnung zu tragen. Sie ist nicht einfach bundesdeutsche Verbalradikalität und dicke Hose sondern eine Forderung die anerkennt, das diese Umwelt und vor allem Lebensweltzerstörung keinen weiteren Tag lang zu akzeptieren ist.

„Für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht möglich sind“ heißt auch zu untersuchen welche Machtverhältnisse, welche Ideologien dazu geführt haben, das Atomanlagen möglich wurden, und diese Verhältnisse zu benennen und anzugreifen. Das aus der Anti-Atom-Bewegung viele „alternative Projekte“ entstanden sind ist kein putziger Zufall sondern Ausdruck der Suchbewegung nach Alternativen.

 

Was DU jetzt tun kannst

Its not over befor its over
Viele Denken das die AKW bereits abgeschaltet sind, und die meisten Anderen gehen davon aus, das der Ausstieg schon so stattfinden wird wie vor fast zehn Jahren beschlossen. Bis der Castor nach Philipsburg rollt haben wir also noch eine Menge Arbeit vor uns, um auf die Gefahr einer Laufzeitverlängerung hin zu weisen.
Argumente dazu findest Du hier.

Und Du so?
Acht Jahre sind seit dem letzten Transport vergangen, und nicht nur die Bewegung ist etwas älter und reifer geworden dabei. Das heißt aber auch das Du vielleicht nicht so hoppla hopp wie früher im Wald und an die Schienen verschwinden kannst, vielleicht ist da ein Job, Kinder und was sonst noch so alles passiert sein kann. Gründe genug also um sich jetzt schon mal zu überlegen was Du am Tag X aber auch davor machen möchtest, und wie sich das organisieren lässt.
Auf jeden Fall solltest Du Dich auf der Alarmliste eintragen um den Tag X nicht vor lauter lauter zu verpassen.

Bezugsgruppe, Plenum und Aktionen vor dem Transport…
Sprech` doch jetzt schon mal die Leute an, mit denen Du damals zum Castor gefahren bist, und schau ob und was heute so bei Euch geht. Vielleicht gibt es ja Aktionen die Du immer mal vor hattest, für die der Vorlauf aber zu kurz war, oder Leute mit denen Du immer mal was zusammen machen wolltest ? Vielleicht eine Yogagruppe agitieren, eine Mahnwache am Bahnhof oder skills auffrischen bei Ende Gelände?

Auf zur (Groß) Mutter aller Blockaden!
Für alle die sich schon immer gefragt haben was das mit dem Castor so auf sich hat und wieso die Leute dann immer so aufgeregt sind: Einfach mal hinfahren und die Erfahrungen von Ende Gelände oder aus dem Hambacher Forst oder von anderen Aktionen mitbringen, wir würden gerne von Euch lernen.

Für eine Gesellschaft in der Atomanlagen nicht möglich sind
Wichtige Dinge darf mensch keiner Regierung überlassen

AAP / Anti-Atom-Plenum Berlin
AAB / Anti-Atom-Büro Hamburg
EkiB / Energiekämpfe in Bewegung Bremen